Friedensarbeit der Kirchen in der DDR – Impuls 2

Gespeichert von Rudi am

Friedensarbeit der Kirchen in der DDR – auszurangierendes Erbe oder Zukunfts-Ressource?

Impuls 2

Liebe Leser*in,

vom 13. Werkstatt-Tag der Regionalgruppe Magdeburg am 23. 10. 2021 gibt es weiter zu erzählen und wir würden uns freuen, wenn Du uns auf dem Weg mit begleitest.

Am 6. November 1965 hat die Evangelische Kirche in der DDR, vertreten durch die Kirchenleitungen, eine Handreichung (HR) für Seelsorge an Wehrpflichtigen unter dem Titel „Zum Friedensdienst der Kirche“ herausgegeben. Die darin enthaltene Botschaft ist zu einem „Schlüsseltext“ für die Kirchen der DDR geworden, der in Variationen wiederkehrt.

Aus welchem Anlass entstand die HR?

Nach der Einrichtung der Wehrpflicht in der DDR 1962 hat eine beträchtliche Anzahl junger Männer den Wehrdienst trotz Strafandrohung verweigert. Daraufhin sah sich die DDR-Führung genötigt, 1964 für sie einen waffenlosen Wehrdienst bei den Baueinheiten der Nationalen Volksarmee zu schaffen. Viele Bausoldaten lehnten den zu leistenden Eid ebenso ab wie die Arbeit an rein militärischen Projekten. Manche wurden verhaftet, andere hatten kleine Erfolge. Die Totalverweigerer lehnten auch die Baueinheiten ab und ein Teil von ihnen kam in Haft. Einige wurden gegen ihren Willen ausgebürgert. Das war der Anlass für die evangelischen Kirchen, „sich neu auf das ihr gebotene Friedenszeugnis zu besinnen“.

Was ist der Inhalt der HR?

Ökumenischer Weg und theologische Erkenntnis der Kirche (Teil 1) werden beschrieben:

Ausgehend vom Friedensbund Gottes wird gefragt, was die Kirche für den Frieden tun kann und kommt auf den prophetischen Auftrag der Kirche zu sprechen.

Zur Sendung der Gemeinde gehört der prophetische Auftrag, die Zeichen der Zeit zu erkennen, ideologische Denkschemata und traditionalistische Gebundenheiten, die der sich wandelnden Weltwirklichkeit nicht gerecht werden, abzubauen und ein neues politisches und soziales Ethos zu entwickeln und vorzuleben, das in den geschichtlichen Wandlungen der Menschheit zu besserem Miteinanderleben hilft. So wird sich christlicher Friedensdienst heute z. B. für eine bessere internationale Friedensordnung einsetzen, die das Überkommene, am Nationalstaat oder an ideologischen Blöcken orientierte Machtdenken ablösen kann. Auch wird die Kirche in ihrer theologisch-ethischen Besinnung und Belehrung der Gewaltlosigkeit als Möglichkeit zur nichtmilitärischen Erreichung von politischen und sozialen Zielen größere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Denn Gewaltlosigkeit kann in konkreten Situationen die dem Christen einzig gebotene Handlungsweise sein.

Die Handreichung setzt sich dann mit der Frage auseinander, ob angesichts der Atomwaffen, die den jeweiligen Gegner von ihrem Einsatz abschrecken sollen, der Dienst in der Armee auch als eine „komplementäre“ Form des dem Christen gebotenen Friedensdienstes angesehen werden kann.

In der „Situationsklärung“ (Teil 2) wird verdeutlicht: Wenn der Frieden das höchste Gut ist, kann atomare Abschreckung nicht dazu beitragen.

Als Denk- und Handlungszwänge werden genannt:

  1. Jede abschreckungsfähige Armee braucht den letzten Einsatz ihrer Angehörigen für ihre eigenen Ordnungen, die dann anstelle des Friedens zu „höchsten Gütern“ werden.
  2. Sie kann das nur erreichen, wenn sie die Gegner zu verabscheuungswürdigen Verbrechern macht durch „Einschulung in das ein Freund-Feind-Denken"
    und
  3. durch eine „Propagandasprache“, die „die Beteiligung an Massenmord“ verdeckt und technische und sportliche Interessen missbraucht.

Die HR folgert daraus:

Es wird nicht gesagt werden können, dass das Friedenszeugnis der Kirche in allen drei der heute in der DDR gefällten Entscheidungen junger Christen in gleicher Deutlichkeit Gestalt angenommen hat. Vielmehr geben die Verweigerer, die im Straflager für ihren Gehorsam mit persönlichem Freiheitsverlust leidend bezahlen und auch die Bausoldaten, welche die Last nicht abreißender Gewissensfragen und Situationsentscheidungen übernehmen, ein deutlicheres Zeugnis des gegenwärtigen Friedensgebots unseres Herrn. Aus ihrem Tun redet die Freiheit der Christen von den politischen Zwängen. Es bezeugt den wirklichen und wirksamen Friedensbund Gottes mitten unter uns.

Im 3. Teil der HR „Aufgaben der Kirche gegenüber dem Staat“ geht es zuerst um das „Zeugnis vom Frieden in Predigt und Unterweisung“. Da heißt es u.a.:

Dieses Zeugnis ist aber nur echt, wenn Christen und Kirchen untereinander und mit der Welt nach den Weisungen der Bergpredigt umgehen, also auf alles Freund-Feind-Denken, auf Rechthaberei, Lieblosigkeit, Heuchelei, Selbstbehauptung und „kalten Krieg“ verzichten, zur Demütigung und zum Leiden bereit sind und sich bemühen, den zu achten, der einen anderen Weg geht, auf ihn zu hören und seine Entscheidungen ernst zu nehmen.

Das öffentliche Friedenszeugnis, das die Welt zum Aufhorchen und Nachdenken bringt, ist aber nicht nur das der Gesamtkirche in ihren offiziellen Stellungnahmen und der Verkündigung, sondern ebenso das der Gehorsamsentscheidungen, welche die einzelnen Glieder der Kirche fällen. Außer der Wehrdienstverweigerung ist hier zu nennen: die Verweigerung ziviler Mitarbeit an militärischen Objekten und die Verweigerung vormilitärischer Ausbildung.

Die Kirche muss mit ihrem Zeugnis den Staat auf die Gefahren des Wettrüstens und der Haßpropaganda hinweisen, die unmittelbar die Entwicklung zum bewaffneten Konflikt fördern und sie muss ihn mahnen, ständig um die Errichtung einer internationalen Friedensordnung bemüht zu sein.

Und

Die Kirche hat aber auch für die einzelnen bedrängten Gewissen gegenüber dem Staat einzutreten und im konkreten Einzelfall dem Gemeindeglied, dessen Entscheidung zugleich Zeugnis der Kirche ist, zur Seite zu stehen.


Was sind die Eckpunkte?

  • Es geht um das Friedenszeugnis der Kirche, nicht nur um das des Einzelnen.
  • Kirche stellt sich ganz auf die Seite derer, die den Weg der Gewaltfreiheit gehen.
  • Menschen nehmen Nachteile und Leiden für dieses Zeugnis auf sich.
  • Es geht um das Zeugnis für das gegenwärtige Friedensgebot unseres Herrn.
  • Es ist geboren aus und verbunden mit der Freiheit der Christen von den politischen Zwängen.
  • Dieses Zeugnis, nicht das der Soldaten, bezeugt den wirklichen und wirksamen Friedensbund Gottes mitten unter uns.

Dieses Zeugnis wurde 1987 aus der Bundessynode der Evangelischen Kirche in der DDR und 1988/89 in der Ökumenischen Versammlung aller Kirchen der DDR bekräftigt und erweitert.

Wirkungen der HR

  • Zunächst wirkte die HR als eine klare Distanzierung vom staatlichen Absolutheitsanspruch in Friedensfragen und als Eröffnung eines eigenständigen Weges aus christlichem Glauben.
    Damit war die Konfrontation mit dem Staat vorprogrammiert. Die HR durfte ohnehin „nur zum innerkirchlichen Dienstgebrauch“ hektografiert und nicht öffentlich verbreitet werden.
    Doch: Die Verweigerung des Militärdienstes und der Friedensdienst von Christen, verbunden mit Behinderungen, sind „ein deutlicheres Zeugnis des gegenwärtigen Friedensgebots unseres Herrn“ und sind zugleich das Friedenszeugnis der Kirche.
    Das war und blieb der Kern, der „rote Faden“ der kirchlichen Friedensarbeit in der DDR bis 1990
  • In der praktischen Wirkung auf die Gemeinden blieb die HR begrenzt. D.h. es hing immer von den kirchlichen Mitarbeitenden ab, ob junge Männer in diesem Sinn beraten und mit ihnen Kontakt gehalten wurde. Das Evangelische Jungmännerwerk Thüringen, in dem ich seit 1966 mitarbeitete, gab Entscheidungshilfen für Junge Gemeinden heraus, organisierte Treffen und hielt Kontakte zu Soldaten, Bausoldaten und Totalverweigerern. Wir hörten jedoch auch von verschiedenen jungen Männern, die damals Beratung gebraucht hätten, dass sie sich eher allein gelassen gefühlt haben.
  • Im Juli 1989 lehnte die EKD die Haltung der Evangelischen Kirchen in der DDR in einer eigenen Schrift ab. Was hat die EKD veranlasst, durch ihre „Kammer für Öffentliche Verantwortung“ die Schrift herauszubringen „Wehrdienst oder Kriegsdienstverweigerung? Anmerkungen zur Situation des Christen im Atomzeitalter“, EKD-Texte 29?
    Anlass war, dass die Synoden von Westfalen und dem Rheinland sowie 16 Hamburger Hochschullehrer die DDR- Kirchen-Argumentation übernommen haben.
    „Zeiten des Wandels sind immer auch Zeiten besonderer Gefährdung.“ (2) Mich hat nur verwundert, dass die EKD die Gefährdung in der Entscheidung der o.g. Kirchen sieht und nicht in der atomaren Rüstung, nicht in der weitergehenden Aufrüstung und den Rüstungsexporten. – Das eigentliche Ziel der Schrift: Kriegsdienst und Zivildienst sind als ethische Entscheidungen grundsätzlich gleichwertig! Jeder muss sie selbst verantworten.

Während die DDR-Kirchen auf klare Distanz zum Staat gegangen sind, orientiert sich die EKD maßgeblich mit an der je aktuellen Politik der BRD. Die Positionen der DDR-Kirchen werden verworfen, ohne widerlegt zu werden. Wir vom Werkstatt-Tag konnten uns nicht damit abfinden, dass sie mit der Zusammenlegung von BEK und EKD zu Grabe getragen und archiviert worden sind. Uns inspirieren sie heute weiter. Und vielleicht zündet ja auch in der EKD ein Funke neu?

Diese Hoffnung geben wir nicht auf!

Vielen Dank für Deine Aufmerksamkeit.

Magdeburg, den 22. 11. 2021, Barbara und Eberhard Bürger