AG 6 Perspektivenwechsel mit Anti-BIAS: Wofür können wir Geflüchteten dankbar sein?

Dieser Workshop konnte dank finanzieller Unterstützung des BMZ/Engagement Global stattfinden – herzlichen Dank dafür!

Leitung: Annette Kübler und Žaklina Mamutovič, Anti-BIAS Trainerinnen, Berlin

Teilnehmende: 22 Personen
Das englische Wort „Bias“ bedeutet übersetzt „Voreingenommenheit“ oder „Einseitigkeit“. Die Anti-Bias-Trainingsmethoden entstanden in den USA und Südafrika. Sie zielen auf eine intensive erfahrungsorientierte Auseinandersetzung mit Macht und Diskriminierung sowie das Erkennen von unterdrückenden und diskriminierenden Interaktionsformen.

Der Ansatz geht davon aus, dass Vorurteile nicht einfach „falsches Denken“ sind, sondern Bestandteil sozialer Konflikte. Sie sind einflussreich, weil sie anschlussfähig sind. Sie sind ein Mittel der Privilegierten zur Sicherung ihrer Privilegien. Es geht also um ein Bewusstwerden von Macht und Herrschaft und von Strukturen, die Menschen diskriminieren. Anti-Bias möchte mit machtkritischem Blick ermöglichen, Dominanzstrukturen aufzudecken und zu hinterfragen, die eigene Position zu reflektieren und neue Verhaltensweisen zu erlernen.

Annette Kübler und Žaklina Mamutovič, beide ausgewiesene Anti-BIAS Trainerinnen, leiteten den ganztätigen Workshop auf der Jahrestagung des Versöhnungsbundes, orientiert an den Erfahrungen der Teilnehmenden, mit viel Schwung und wunderbaren Wandzeitungen. Schon der Einstieg machte bewusst, dass allein die Beantwortung der Frage: „Wie heißt du und wie willst du genannt werden?“ zahlreiche Erinnerungen an Situationen des Nicht-Ernst-Genommen-Werdens oder gar der Diskriminierung auslöst. Gerade Menschen mit Namen, die als „fremd“ einsortiert werden, müssen sich oft anhören „das ist aber ein schwieriger Name“ oder müssen sich Abkürzungen gefallen lassen, die sie nicht selbst gewählt haben. Erfahrungen solcher Art kommen bis heute in Schulen vor, wo LehrerInnen manchmal sehr locker mit der korrekten Namensanrede umgehen. Aber gerade der Umgang mit Namen ist etwas sehr sensibles, weil er das Herz der Person betrifft.

Genauso verblüffend war für mich der Hinweis darauf, was allein die Frage „Woher kommst du?“ bei Menschen auslöst, die eine „andere“ Hautfarbe haben oder irgendwie „anders“ aussehen. Die FragestellerInnen werden unvermittelt privat, erkundigen sich nach der Haarpflege oder den Familienverhältnissen. Ein weißer Mitteleuropäer würde so etwas nie gefragt. Wenn Menschen mit „anderem“ Aussehen also gefragt werden “Woher kommst du?“ und sie sagen dann, „aus Stuttgart“ oder „aus Berlin“, dann wird in der Regel weiter gefragt: „Und woher eigentlich?“ Diese Frage wirkt rassistisch, weil immer mitschwingt, „Du bist nicht von hier!“ oder „Warum bist du hier?“ Und da spielt es dann auch keine Rolle, wenn die Leute erklären, sie hätten nur aus Interesse gefragt.

In Kleingruppen beschäftigten wir uns mit Begriffen, die ganz bestimmte Inhalte transportieren, beispielsweise die Begriffe „Ausländer“, „Entwicklungsland“, „bildungsfern“ oder „sozial schwach“? Welche Botschaften verbinden sich mit diesen Begriffen? Welche alternativen Ausdrucksmöglichkeiten gibt es?

Mit kabarettreifen Videoclips und Hörbeispielen wurden wir hingewiesen auf die Webseiten „Deutschland schwarz-weiß“ oder „der braune mob“, wo die Journalistin Noah Sow ihre diskriminierenden Erfahrungen wiedergibt und auf das Buch von Mutlu Ergün: „Kara Günlük - die geheimen Tagebücher des Sesperado“. Dass es sich dabei um freche politische Satire handelt und es auch Spaß machen kann, auf seine Vorurteile aufmerksam gemacht zu werden, machte die Beschäftigung bei allem Ernst sehr vergnüglich.

Mir gefiel bei dem ganztägigen Workshop, dass Anti Bias sich nicht nur als Methode begreift, mit der eigenen Sprache und den eigenen Vorurteilen bewusster umzugehen und andere Begriffe zu verwenden, sondern dass auch die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft thematisiert wurden. So führen Anti BIAS workshops über die Phase der Sensibilisierung für das eigene Sprachverhalten hinaus. In weiterführenden Schritten geht es um Powersharing, das Teilen der eigenen Ressourcen und um Empowerment, das zur Mobilisierung und Vernetzung von Menschen dient, die von Diskriminierung betroffen sind. Es ist also ein Ansatz, der die Machtverhältnisse in unserem Land verändern will, einem Land, in dem Rassismus und Sexismus immer noch alltägliche Erscheinungen sind.

Der Workshop schloss mit der wiederum verblüffenden Frage: „Wofür wir Geflüchteten dankbar sein können?“. Geflüchtete Menschen werden in unserem Land zu tausendfachen Objekten der Hilfe gemacht, selten aber werden sie als Subjekte mit eigenem Willen und Bedürfnissen wahrgenommen werden. Dass geflüchtete Menschen uns etwas zu geben haben, dass sie unsre Sicht der Welt weiten können, dass sie manches Selbstverständliche in Frage stellen, das wurde uns dann in den Kleingruppengesprächen sehr deutlich und dem abschließenden Austausch, mit dem der workshop endete.

Wie ein Leuchtturm im Meer der vielen workshops über GFK ragte für mich der workshop zu Anti BIAS heraus. Anders als bei der GFK mit  ihrem individualisierten Ansatz geht es bei Anti BIAS um das Lernen gewaltfreier oder besser gewaltarmer Kommunikation, die die Ursachen von Gewalt und Diskriminierung nicht einfach in der fehlgeleiteten Kommunikation der Einzelnen und ihrer Bedürfnisse festmacht, sondern nach Interessen fragt, die Machtverhältnisse thematisiert und Widerstand gegen alle Formen der Diskriminierung fördert.

Dietrich Becker-Hinrichs

Eine Ergänzung zu den Begriffen „fremd“ und „anders“

von Annette Kübler

Gespräch mit meiner Nachbarin: „Auf Arbeit fragte mich eine Kundin, warum ich kein Kopftuch trage. Seit Sarrazins Buch ist es so anstrengend geworden.“ Die Tochter, 9 Jahre, ergänzt: „Ich werde in der Schule oft gefragt, ob ich Türkin sei oder Deutsche. Das nervt.

Ich gehöre doch auch hierher.“ Die Mutter: „Als ich Kind war wurden wir selbstverständlicher akzeptiert als heute. Ich hätte nicht gedacht, dass es für meine Kinder so schwer sein würde.“

Die Begriffe von „fremd“ und „anders“ werden alltagssprachlich ganz selbstverständlich verwendet. „Du weißt doch, was ich meine, wenn ich sage, dass sie anders aussieht.“ Ja, wirklich? Wen meinst du denn? Wer sieht denn „anders“ aus – „anders“ als wer? und wer sieht denn „normal“ aus?

Anti-Bias wendet den Blick auf das, was zur Norm gemacht wird und wie dieser Prozess Menschen ausschließt - denn hinter dem Begriff „anders“ steht eine unbenannte Norm. Anti-Bias macht bewusst, wie durch „othering“, Menschen in Kategorien gesteckt, markiert und zu den „normalen“ oder den „anderen“ gemacht werden. Othering bedeutet: zum-anderen-machen und untersucht welche gesellschaftlichen Machtprozesse das herstellen, was als “anders” und was als “normal” gesehen wird. Um innewohnende Ausgrenzungsprozesse sichtbar zu machen, müssen wir den Blick wenden. Ein Beispiel.

Die Annahme “Deutsche sind weiß” ist ein Konstrukt. Es entspricht nicht der Realität. Es entsprach auch nie der Realität, sondern fußt auf Gewalt in verschiedener Form. Im Kolonialismus wurden Gesetze erlassen, nach denen Kinder weißer Väter und Schwarzer Mütter nicht die Staatsangehörigkeit ihres Vaters bekommen. Frauen verloren die Staatsangehörigkeit, wenn sie einen Nichtdeutschen heirateten. Die Zugehörigkeit des Islams zu Europa wird regelmäßig in Frage gestellt. Antisemitismus und Rassismus gegen Sinti und Roma ist jahrhundertealte Gewalt. Nicht erst aber auch im Faschismus wurden nicht der konstruierten Norm entsprechende Menschen markiert, aussortiert, ermordet. Bis heute werden – auch in Deutschland – Schwarze Menschen viel häufiger Opfer von Polizeigewalt, erhalten schlechtere Jobs und Wohnungen. Diese Zusammenhänge sind vielen weißen Deutschen nicht immer bewusst. Menschen, die Ziel dieser Ausgrenzung sind, meist sehr.

Das ist ein Kontext, den viele nicht meinen, wenn sie die Frage, “wo kommst du her” benutzen. Ja, die Frage ist meist gut gemeint. Dennoch sie ist die Ergänzung von racial profiling im Alltag. Sie erinnert daran, dass viele Menschen hier in Deutschland gezwungen sind, Sondererlaubnisse zu beantragen, um legal hier sein zu können. Dass schon Kinder damit klar kommen müssen, dass ihnen kontinuierlich ihre Zugehörigkeit abgesprochen wird. “Du kannst aber gut deutsch.”

Kinder brauchen wie alle Menschen ein Gefühl selbstverständlicher Zugehörigkeit – und das Denken in “deutsche” und “ausländische” Kinder ist verknüpft mit der ungerechte Zuteilung von Chancen und Rechten.

Noch eine Begriffsklärung:

weiß und Schwarz bedeutet in der rassismuskritischen Analyse nicht die Hautfarbe sondern der gesellschaftliche Status. Also ob Menschen als dazugehörig gesehen werden, ob sie volle Büger_innenrechte haben,

Der Begriff Schwarz ist eine politische Selbstbezeichnung und meint nicht die Hautfarbe. Er wurde in den 1960er Jahren durch die Black Power-Bewegungen in den USA geprägt, um solidarische Perspektiven und Allianzen zwischen Menschen, die von alltäglichem, strukturellem und institutionellem Rassismus aufgrund von Zuschreibungen betroffen sind, zu stärken. Schwarz wird großgeschrieben um das widerständige Potenzial hervorzuheben, das in dieser politisch strategischen Selbstbezeichnungspraxis eingeschrieben ist.

Der Begriff weiß beschreibt eine sozial-historische Position. Weiß ist eine Konstruktion und hat sich vor allem über Jahrhunderte als Norm etabliert mit dem Ziel, Privilegien der eigenen Gruppe und somit auch Rassismus zu legitimieren. Um den Konstruktionscharakter der Kategorie weiß hervorzuheben, wird diese kursiv und im Gegensatz zur politischen – im Sinne von widerständiger Selbstbezeichnung – Kategorie Schwarz klein geschrieben.

Im Anhang befindet sich auch Annete Küblers Aufsatz: "Erst wenn die Löwen ihre Geschichte selber erzählen, werden die Jäger nicht mehr Helden sein“  - Oder wie Ignoranz integraler Teil ist von Gewalt und zuhören so wichtig wäre, der die Thesen des Workshops noch einmal lebendig beleuchtet und auch weiterweisende Links enthält.