„Davon habe ich nichts gewusst“

Gespeichert von Matthias-W Engelke am

Am 9. August, als die Atombombe 1945 auf Nagasaki fiel, demonstrieren vor allem junge Menschen in Büchel gegen die amerikanischen Atomwaffen. Zuvor waren sie in Berlin. Eindrücke von dort.

Von Bettina Röder

Einen kleinen Moment hat er an sich selbst gezweifelt. Uwe Mettlach sitzt auf dem Brunnenrand vor der Berliner Gedächtniskirche unweit vom Bahnhof Zoo. Um ihn herum ist der kleine Platz an diesem warmen Sommertag voller Touristen, wie auch er einer ist. Von hier aus hat der Mann aus Wiesbaden gerade eine Demonstration mit überwiegend jungen Menschen vor der Kirche beobachtet, von der er im ersten Moment dachte: „Ach je, wieder so was aus der Mode, so hat man doch schon in den 80er Jahren gegen den Atomkrieg protestiert.“ Die jungen Leute hatten sich demonstrativ vor der Kirche auf den Boden gelegt, andere malten ihre Umrisse auf das Pflaster. Doch dann wurde Uwe Mettlach hellhörig, er schüttelt ungläubig seinen graubraunen Lockenkopf: Als von den 20 amerikanischen Atombomben berichtet wird, die heute in der Eifel lagern und nun durch neue, technisch aufgerüstete ersetzt werden sollen. „Das habe ich nicht gewusst“, sagt er wieder und wieder. Und wie ihm geht es den allermeisten hier.

„Genau aus diesem Grund habe ich vor sieben Jahren diese Aktion ins Leben gerufen“, sagt Pfarrer Matthias Engelke vom Versöhnungsbund. Damals kamen gerade mal drei Menschen in Büchel, wo die Bomben lagern, zu einer Andacht zusammen. Heute steht er mit seiner schwarzen Baskenmütze und Geige inmitten der jungen Menschen. Die meisten gehören zum Internationalen Jugendwerk und sind für diese Aktion eigens aus Italien, Serbien und Russland angereist. In einem Friedenscamp in Dahlem nahe bei der Jesus Christus Gemeine haben die 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einer großen Wiese ihre Zelte aufgeschlagen. Eingeladen zu der Anti-Atomwaffen-Aktion hat sie der Versöhnungsbund und die Friedenshütte Mutlangen.

 Das Datum ist wie auch all die Jahre zuvor bewusst gewählt: Die Aktion endet am 9. August, dem Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Nagasaki. Drei Tage zuvor, am 6. August 1945, hatte die Atombombe das japanische Hiroshima in eine Geisterstadt verwandelt. „Atomwaffenfrei jetzt“, steht auf den Transparenten vor der Berliner Gedächtniskirche. Und wie auch in den letzten Jahren schon werden die Demonstranten am 9. August nach Büchel in der idyllischen Eifel reisen. Dort werden sie das 12 km umfassende militärische Gelände, auf dem die Atomwaffen lagern, umkreisen. Für einige der 15 Demonstranten ist dann auch die „Fastenaktion für eine atomwaffenfreie Welt“ zu ende.

 In Berlin haben sie auch mit Bundestagsabgeordneten, den Abgeordneten des Brandenburger Landtags, den Botschaften von Atomwaffenstaaten und dem Auswärtigen Amt Gespräche über die nukleare Abrüstung geführt. „Die Stimmung der Politikerinnen und Politiker ist gerade recht resignativ“, sagt Wolfgang Schlupp-Hauck von der Friedenshütte Mutlangen. Da gibt ihm das rege Interesse an dem Thema hier vor der Kaiser-Wilhelm- Gedächtniskirche neuen Auftrieb. Gerade erklärt Silvio aus Italien einer Gruppe junger interessierter Chilenen, dass es hier in Berlin noch einen besonderen Abend gibt: im Volkspark Friedrichshain wird inzwischen alljährlich am 5. August um 21 Uhr - dem Vorabend des Bombenabwurfs auf Hiroshima - die Friedensglocke angeschlagen. Gespendet wurde sie von der Friedensglockengesellschaft Tokio. Und wie jedes Jahr wird das Geläut von Menschen mit vielen brennenden Kerzen begleitet.

 Die 22-Jährige zierliche Maria Ines aus Santiago de Chile mit dem blonden Pferdeschwanz und dem großen Rucksack auf dem Rücken hat indes vor der Gedächtniskirche noch viel zu tun. Sie kniet auf dem Pflaster. „Stopp War“ heißt ihr großes farbiges Bild, das die Grafikstudentin gerade malt. Dorthin, wo noch kurz zuvor die Kreideumrisse der Demonstranten zu sehen waren.