Berthold Keunecke beleuchtet einige Aspekte der Diskussion um den Aufruf „Helft mit, den Ukrainekrieg zu beenden!“
Mit unserer Vorstandserklärung, die im Ukrainekrieg Deeskalation einforderte und unsere pazifistische Stimme zu Gehör bringen wollte, haben wir uns sowohl Lob als auch Kritik eingehandelt – bis hin zur Aufkündigung der Mitgliedschaft. Aus Platzgründen kann hier nicht die ganze Diskussion wiedergegeben werden. Mit ihr spiegelt sich in unserem Verband der Riss, der durch unsere ganze Gesellschaft geht – angesichts der Gewalt und des andauernden Sterbens im Krieg in der Ukraine ist das auch verständlich. Kein mitfühlender Mensch kann da unbeteiligt bleiben – dafür ist das Leid zu groß.
Ute Delor z.B. schrieb: „Momentan gehört jedoch mein tiefes Mitgefühl insbesondere den Menschen, die zur Waffe greifen, obwohl sie das niemals in ihrem Leben wollten. Menschen, die zutiefst verzweifelt sind. Es erschüttert mich zutiefst, in welche Gewalt sie geraten sind. Ist es an mir, über diese Menschen den Stab zu brechen? Diesen Menschen den Friedenswillen abzusprechen halte ich für arrogant und herzlos. Gerade hierzu lässt der Appell keinen Raum für Zweifel und damit grenzt er aus.“ – Eine Verurteilung ukrainischer Soldaten haben wir mit unserer Erklärung jedoch nicht aussprechen wollen, es ging eher um einen Appell an unsere eigene Regierung, den Krieg nicht weiter zu befeuern. Welche Mittel sind gegenüber einem Aggressor sinnvoll, was können wir tun, um Unrecht einzudämmen und Gewalt zu begrenzen? Wenn die Bomben fallen und die Panzer schon ein ganzes Jahr lang rollen, schwindet die Kraft von gewaltfreiem Widerstand, das ist uns allen klar. Wo sind die Grenzen unserer Ohnmacht? Was können wir trotz allem tun? Danach fragen auch unsere Kritiker.
Hans-Hartwig Lützow schreibt: „Um bei Gandhi zu bleiben, Gewaltlosigkeit beruht nicht darauf still zu halten und zu dulden. Es ist eine Haltung der Tat. Wer sich dazu bekennt, sollte sich auch im Verteidigungskampf der ukrainischen Bevölkerung (in ihrer Mehrheit) zur Notwendigkeit einer Tat bekennen. Angst gilt es dabei zu überwinden.
Waffen in einen Krieg einzubringen macht uns schuldig. Ebenso schuldig macht uns die Verweigerung von erbetener Hilfe, über die wir verfügen. Bekennen wir uns zur Mitschuld in beiden Fällen. … Und wenn uns selbst keine Tat möglich erscheint, sollten wir über Gewaltfreiheit schweigen.“
Wir sind uns im VB sicher einig, dass Gewaltlosigkeit nicht in Stillhalten und Dulden besteht, sondern die Tat erfordert. In der Einschätzung, welche Taten folgen, in wie weit die Lieferung und der Einsatz von tödlichen Waffen zum Frieden und zum Schutz von Menschenleben in der Ukraine beitragen kann, besteht offenbar nicht mehr mit allen Einigkeit.
Es bleibt die Hoffnung, dass wir trotz unterschiedlicher Einschätzungen im Gespräch bleiben können. Ute Delor regt dazu an: „Wir gehen gezielt auf die Menschen zu, die nicht unserer Meinung sind. – Wir bleiben im Gespräch, bleiben offen für unsere eigenen Zweifel. – Wir unterstützen friedliche Kontakte zwischen russischen und ukrainischen Mitbürger*innen und helfen, Feindbilder abzubauen. – Wir setzen uns für die Beibehaltung von Kontakten auf kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet ein. Wir unterstützen alle Menschen, die sich nicht aktiv am Krieg beteiligen wollen (wie es im Appell bereits steht). Wir verzichten während des Krieges auf politische Interpretationen. Wir versuchen, Versöhnung zu leben, gerade mit Andersdenkenden in unserem Umfeld. Wir hören Ihnen zu.“
Wir wollen in diesem Sinne Dialogräume öffnen und laden zu Diskussionen per Videokonferenz zu dem Thema ein. Die erste davon hat bei Erscheinen dieses Rundbriefes schon Anfang März stattgefunden, zwei weitere Termine sind für den 5. April und den 2. Mai geplant. Der Link wird jeweils über den Newsletter versandt oder ist in der Geschäftsstelle anzufordern.
Die Texte, aus denen hier zitiert wurde, sind vollständig auf unserer Homepage im internen Mitgliederbereich nachzulesen.